"Ich bin alles!"

Ein Gespräch mit Krista Beinstein*



„In Hamburg gibt es wenig Licht“, sagt Krista Beinstein, die ich abends im Hamburger Stadtteil Sankt Pauli treffe. Für das Leben in der Nacht ist die Künstlerin bestens vorbereitet: Sie zieht zwei Beutel Schwarztee und ein Buch aus ihrem Rucksack. Mit dem Aufschlagen ihres siebten Fotobandes „Isaac & Pascal“ beginnt eine Reise in eine Welt der Subversionen.

Beinsteins frühe Performances sind mit Wien und der dortigen LGBIQ-Subkultur der frühen 1980er Jahre verbunden. Im Rahmen von Lesbentagen und Aktionswochen hat sie Szenen und Sujets erstmals einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert, die für traditionelle FeministInnen bis heute Tabu sind. Sie zeigt Bilder von SexarbeiterInnen, die am Hamburger Hafen ihre Körper präsentieren, von schwulen Ladies in Leder und von lesbischen Frauen, die sich Messer abseits allfälliger psychoanalytischer Spekulationen aneignen.

Beinstein bleibt niemals Voyeurin, sondern bringt sich im Rahmen ihrer Inszenierungen selbst ins Spiel. In ihren Selbstporträts zeigt sie zerbrochene Spiegel, die auf die Ambivalenz narzisstischen Begehrens verweisen und stellt die Folgen von Berührungen aus, die unter die Haut gehen. Blut und Fleisch sind Materialien, die Beinstein nicht nur im Rahmen ihrer durch die ungarische Gräfin Erzébet Bátory inspirierten Performance „Die Blutgräfin“ eingesetzt hat; es ist kein Theaterblut, das da zu sehen ist. Ob man beim Anblick ihrer Fotos dennoch lachen dürfe, frage ich. „Klar“, sagt Krista – ihre Karriere begann schließlich mit Performances, die Titel wie „Kabinett Vagina dentata“ und „Clownerie“ tragen.


Krista, worin besteht für dich der Unterschied zwischen Wien und Hamburg?

Wien war für mich eine Art Kessel. Ich bin dort aufgewachsen, war meine Sozialisation betreffend schnell autonom, machte eine FotografInnenlehre und habe eine sehr konservative Stadt vorgefunden. Dies macht sich besonders im Umgang dieser Stadt mit ihren KünstlerInnen bemerkbar. Die Perversion von Wien besteht darin, dass man aus Wien zuerst verschwinden muss, um dort anerkannt zu werden. Außerdem ist es eine katholische Stadt: Dort ist man hinter verschlossenen Türen obszön ohne Ende und geht dann zur Beichte. In Hamburg gibt es diese schleimige oder auch verschämte Art nicht, die Leute sind ehrlicher und direkter. Hamburg ist für mich erfrischend, inspirierend und das Tor zur Welt – es gibt einen Hafen!

Wie setzt du dein Begehren in Bilder um, wie entstehen deine Fotos?

Die konventionelle Beziehung FotografIn – Model hat mich nie interessiert. Die Frauen, die ich zeige, sind zumeist meine Geliebten, deren Phantasien ich gut kenne. Die im Bild dargestellte Phantasie ist immer stark von der jeweiligen Frau abhängig und ich versuche, mein Gegenüber dazu zu bringen, sich zu zeigen, sich zu öffnen. Es ist ein Zusammenspiel zwischen meiner Phantasie und der meiner Freundinnen. In diesem Sinne gibt es keine Regie, sondern eine vage Ahnung von etwas, das sich im Prozess des Fotografierens entwickelt. Kunst bedeutet für mich auch: Unsichtbares sichtbar zu machen und genau dies geschieht während der fotografischen Inszenierung vor der Kamera.

War deine Kunst ihrer Zeit voraus und ist auch deshalb in Wien nicht verstanden worden?

Meine erste Ausstellung mit dem Titel „Portrait, Landschaft, Akt“ wurde 1980 im Amerlinghaus ausgestellt. Ich habe Frauenportraits in Schwarz-Weiß gezeigt, die geradezu romantisch waren. Später begann ich ,verbotene’ Phantasien in Bilder umzusetzen und die öffentlichen Reaktionen darauf haben sich dementsprechend verändert. Die ausgestellten Bilder wurden teilweise sogar zerstört.

Mein erstes Buch trägt den Titel Obszöne Frauen und ist 1986 erschienen. Der österreichische „Porno-Jäger" Egon Humer zeigte die VerlegerInnen unter dem Vorwand der Gewaltverherrlichung an, aber auch in Deutschland erhielt ich eine Anzeige unter dem Motto: „Ist ein Dildo ein Glied oder ein erigierter Penis?“ Vor Gericht wurde das Buch seitens des Verlags mit dem Argument verteidigt, dass es sich dabei um eine Milieustudie handle und infolgedessen wurde der Anklagepunkt der Gewaltverherrlichung fallengelassen. Da die deutschen Gerichte entschieden hatten, dass ein Dildo kein Penis ist, kam „Obszöne Frauen“ nicht auf den Index, andernfalls hätte man dieses Buch nicht käuflich erwerben können.

Während meinen Ausstellungen „Ist die Scham vorbei“ und „Im Rausch der Triebe“ wurden meine Fotos heruntergerissen – ich habe sie eigenhändig wieder aufgehängt – und dies wurde dann auch noch beklatscht! Die Gegnerschaft kam aus den eigenen Reihen: Anstatt mit mir zu reden, haben konservative FeministInnen meine Bilder unter dem Vorwand, dass sie patriarchalisch seien, zerstört. Viele ,Alt-FeministInnen’ betrachten meine Arbeiten noch heute mit großer Skepsis. In Deutschland merke ich, dass viele, die meinen Arbeiten früher sehr kritisch gegenüberstanden, sich heute sogar bei mir entschuldigen. FeministInnen in meinem Alter, die sich nicht weiterentwickelt haben – ich bin 1955 geboren – führen tatsächlich noch Diskussionen darüber, ob ein Interview mit mir in einer feministischen Zeitschrift abgedruckt werden kann. Ich nenne diese Form des Feminismus ,beige’.

Würdest du dich als FeministIn bezeichnen?

Ich mag Schubladen nicht! Ich bin nicht nur FeministIn, ich bin ein Schwuler, eine Lesbe und auch ein heterosexueller Mann und eine heterosexuelle Frau, ich bin alles, aber alles im Zusammenhang mit Frauen! In den Achtziger Jahren habe ich mich besonders gerne als pervers bezeichnet, im Sinne von: Ich bin nicht lesbisch, ich bin nicht schwul, ich bin pervers! Ich habe gesagt, dass ich Sex mit allen habe, die Lust dazu haben, aber mein Herz gehört den Frauen! Feminismus konnotiert semantisch das Feminine sehr stark, mir geht es jedoch viel mehr um Emanzipation von Rollen, die Frauen gesellschaftlich zugeschrieben werden – dasselbe gilt übrigens auch für Männer. Ich bin generell der Meinung, dass Menschen sich emanzipieren sollen!

Emanzipation umfasst für mich auch die Dimension der Befreiung aus nicht selbst gewählten Verhältnissen der Knechtschaft. Dieser Anspruch ist nicht mit allen Formen des Feminismus vereinbar...

Feminismus ist für mich der Versuch, in einer patriarchalen Gesellschaft einen autonomen Lebensentwurf zu verwirklichen. Für andere heißt Feminismus, möglichst viele Kinder oder Orgasmen oder beides zu kriegen. Ich will nicht die Dildos vernichten, sondern die Auswirkungen patriarchaler Strukturen wie Sexismus und Unterdrückung. Das heißt nicht, dass Sex deshalb keinen Spaß machen darf! Für mich ist Sexualität eine Form der Lebenskunst und infolgedessen immer schon mehr nur als eine körperliche Handlung. Sexualität an sich hat mit Macht zu tun, dominante und devote Seiten stecken in uns allen – wir sollten sie nicht tabuisieren, sondern uns ihnen zuwenden und sie füreinander entdecken!

Danke für das Gespräch!


Mehr Informationen zur Arbeit von Krista Beinstein finden Sie hier

*in gekürzter Fassung erschienen in Unique 2/2011, S. 8