Comic-Kolumne
Der Dschungel
in: MISSY 06/2018
Ellis Island, New York, 1899: Einwander*innen verlassen das Schiff. Anders als in historischen Aufnahmen ist das dazugehörige Bild von Reklameanzeigen umsäumt. Sie
stehen für die Versprechen des American Dream, dessen bittere Realität eine litauische
Einwandererfamilie im Verlauf der nach einem Roman von Upton Sinclair gestalteten
Graphic Novel kennenlernen wird. Ohne zu wissen, dass er bald Teil davon sein wird,
äußert sich Jurgis, ein Sohn der Familie, abschätzig über die Arbeiter*innen aus der
Düngemittelfabrik. Was folgt, ist seine Proletarisierung in den Schlachthöfen von Chicago.
Amerika, das war für die Einwander*innen gleichbedeutend mit einem Neuanfang,
der allmählich in Schuld und Schulden übergeht. Der Kredit auf das gekaufte Haus erweist sich als erdrückende Bürde, und Jurgis, der sich mit Fäusten gegen die sexuelle
Erpressung seiner Frau Ona wehrt, wird am Ende in eine Haftanstalt eingewiesen.
Obdach- und mittellos, wendet er sich der Gewerkschaft zu. „Was ist das, sozialistisch?“,
fragt sich zuallererst jedoch Ona, deren Arbeitskampf in der Fleischverpackung ein
eigenes Kapitel gewidmet ist. Mit dieser Frage beginnt eine andere Geschichte – in den
kargen, oft wortlosen Bildern einer unabgeschlossenen Emanzipation.
Christina Gehrmann: Der Dschungel Hamburg. Carlsen Verlag