Interviews
"Man muß der Sprache auf den Mund kucken!"
Ein Gespräch mit Julia Reichert*
Begonnen hat alles mit einem
Geschenk: Vor mehr als zwanzig Jahren versammelten sich FreundInnen und Bekannte
von Julia Reichert in einem aufgelassenen Pfarrkindergarten in Graz. Zu sehen
waren neben Tabelaux Vivants mit Klavierbegleitung auch einige Minidramen mit
ProtagonistInnen aus dem breit gefächerten Repertoire des Figuren- und
Objekttheaters. Das Gründungsmoment des später in die Wiener Porzellangasse
übersiedelten Kabinetttheaters datiert auf diesen ersten Abend; dazumal saßen auch einige der späteren StückeschreiberInnen des Kabinettheaters im
Publikum.
Julia Reichert ist die Prinzipalin des Wiener Kabinetttheaters. Mit Für Elise
liegt das erste Stück vor, für dessen Text, Inszenierung, Ausstattung und Spiel sie gleichermaßen verantwortlich zeichnet.
Es ist ein zynischer Monolog einer gealterten Klavierlehrerin, die über ihre Schülerin
Elise sinniert. Mit Barbara Eder hat Julia Reichert über die Kunst des
Puppenspiels, die Arbeit am Text und die Technik, unbelebte Objekte zum Leben
zu erwecken, gesprochen.
Wo bloß ist Elise geblieben? Der Eindruck, dass der Hauptfigur
Ihres neuen Stücks die Duettpartnerin abhanden gekommen ist, ist trügerisch...
Im Stück Für Elise geht es
nicht nur um den Themenkomplex des Alterns, sondern auch um das zwanghafte
Verhältnis zwischen einem Spieler und seiner Puppe. Anhand eines verworrenen
Duetts, das sich am Klavier abspielt, wollte ich das Puppenspiel an sich
thematisieren: Das ganze Stück über behauptet die Puppe, dass ihre Duettpartnerin
nicht vorhanden wäre; in Wirklichkeit ist diese unmittelbar anwesend. Zwar
spielt sich die Puppe in den Vordergrund und behauptet von sich ein Eigenleben
zu haben; letzten Endes ist aber allen Beteiligten klar, dass hinter ihr ein
Mensch steht, der sie bewegt, es sozusagen immer einer Duettpartnerin bedarf,
um diesen Fetzen Stoff zum Leben zu erwecken. Der Puppe gelingt es nie die
Präsenz ihrer Spielerin vollständig auszulöschen. Selbst hinter der im
Kasperltheater gebäuchlichen Spielleiste sieht man die Person immer, die
die Figuren bewegt. Man spürt, dass sich dahinter ein Mensch befindet. Diese
direkte Abhängigkeit zu thematisieren und zu theatralisieren halte ich für einen
ganz wichtigen Aspekt.
Was fasziniert Sie an der
Darstellung dieses Abhängigkeitsverhältnisses?
Heute ist es fast schon modern
geworden, das Verhältnis zwischen Puppe und Spieler zu thematisieren. Ihre historischen
Wurzeln hat diese Thematik in der Romantik. Bereits Ludwig Tieck hat den Dialog
zwischen Puppe und Spieler in seine Stücke miteinbezogen. Dort sagt die Puppe
zu ihrem Spieler: „Ja! Du kannst meine Seele bekommen, aber ich bin ja nur aus
Holz.“ Durch derartige Anspielungen entzaubert man das Spiel nicht, sondern
lenkt die Aufmerksamkeit der ZuseherInnen auf eine andere Ebene.
Das birgt zwar die Gefahr in sich, dass man sich zu sehr in den Vordergrund
spielt; da ist die Spielerin jedoch immer – auch wenn sich die Zuseherinnen
nicht in jedem Moment des Stücks sich dieser Tatsache bewußt sind.
"Niemand stirbt besser" – so
lautet der Titel des anläßlich des fünfzehnjährigen Jubiläums des
Kabinetttheaters bei Sonderzahl erschienenen Sammelbandes. Worauf spielt er
an?
Im Vergleich zu Schauspielern
können Puppen wahnsinnig gut sterben – darauf bezieht sich der Titel des Buches.
Wenn man die Puppe ausläßt, ist sie tatsächlich tot. Es ist ähnlich wie mit der
zerbrochenen Tasse, die am Cover des Buches abgebildet ist. Sie fällt herunter
und das war's! Wenn Puppen während des Stücks erstochen werden und sich am Ende
verbeugen müssen, ist das natürlich blöd…(lacht)
Puppen sterben zu lassen ist
anscheinend ein relativ simpler Vorgang. Wie aber erweckt man sie zum Leben?
Das Spielen von Puppen ist bis zu
einem bestimmten Grad eine sehr technische Angelegenheit. Die Mechanisierung
von Bewegungen ist Voraussetzung dafür, dass das Spiel der Puppe lebendig
wirkt. Es sind keine Bewegungen, die aus dem eigenen Empfinden in die Puppe
übergehen; Bewegungsabläufe werden in einzelne Segmente unterteilt und Schritt
für Schritt eingeübt. Es sind künstliche Abläufe auf hohem Abstraktionsniveau.
Die Puppe ist nun mal ein Objekt, sie hat zwangsläufig etwas Roboterartiges.
Julia Reichert, wie kommen
Ihre Puppen zu ihrem Aussehen?
Die Art und Weise wie eine Puppe in
technischer Hinsicht funktioniert, nimmt vorweg, welche Rolle sie auf der Bühne
spielen wird. Ob ich nun eine Klappmaulpuppe, eine Marionette, eine Stabpuppe
oder eine andere Art von Objekt herstelle, ist abhängig von der metaphorischen
Ebene. Die Form sagt bereits sehr viel über die Figur aus. Marionetten eignen
sich beispielsweise hervorragend dafür zarte, wehrlose Opfer darzustellen, die
man am liebsten von den Fäden schneiden würde; Täterfiguren hingegen haben
etwas Bodenständiges an sich. Oft sind sie eng mit dem Körper der
Spielerin verbunden, deren Hände zu denen der Puppe werden. Bevor ich eine
Puppe baue, sehe ich mir zuerst die metaphorische Ebene an: Ist das ein Fetzen,
ist das ein kleiner Mensch oder ein Automat, will ich, dass die Figur wächst
oder ist sie ein Teil einer anderen Figur? Man muß der Sprache auf den Mund
kucken und sie Wort für Wort in Bilder umsetzen.
Betrachten Sie das Marionettentheater als subversive
Kunstform?
Es ist reizvoll mithilfe der
Figuren an Themen zu stoßen, die einem zu nahe kämen, wenn ein Mensch
sie aussprechen würde. Da kann man Sachen sagen…es sind doch ohnedies nur Puppen!
Danke für das Gespräch!
Informationen zum Kabinetttheater finden Sie hier
*Originalbeitrag, in gekürzter Fassung erschienen in Unique 01/2008, S. 9