Comic-Kolumne
Rosa
in: MISSY 08/2018
Wie wurde eine zu der, die sie war? Diese Frage wird in Kate Evans’ Graphic-Novel-
Biografie Rosa vor allem zu einer Frage der Identität. Rosa Luxemburg erfährt früh,
mit welchen gesellschaftlichen Barrieren man als Frau, intellektuelle Sozialistin, Polin
und Jüdin zu kämpfen hat. Weil sie ihren Fuß wegen einer Hüftfehlstellung hinterherzog, war sie für die Mitschülerinnen am Warschauer Frauengymnasium ein rotes Tuch;
wegen ihrer linksradikalen, oppositionellen Haltung und der Mitgliedschaft in einer marxistischen
Gruppe wurden ihr die Privilegien einer guten Schülerin entzogen. Evans’
Rosa hält stand und ritzt die Grundfesten ihrer Gesinnung mit einem Messer in das
Schulpult. Mithilfe eines ähnlichen Werkzeugs wird sie später die Theorie des Warenfetischs
erklären, wobei der Löffel in ihrer Hand die verzerrten Bilder eines gebrochenen
Verhältnisses zurückwirft: Geld und Ware sind unter kapitalistischen Bedingungen nie
äquivalent – und für Evans auch im Geschlechterverhältnis nicht: "Ein außergewöhnlicher
Intellekt geht nicht in die Berechnung des Werts einer Frau ein", bemerkt die
Autorin lakonisch mit Blick auf den damaligen Heiratsmarkt, illustriert durch Abziehbildchen von Anziehpuppen.
Sie zeichnet Rosa Luxemburg als außerordentliche Frau ihrer Zeit. Am Ende erscheint diese als vieldeutige Figur,
die als Ökonomin den Krisenkapitalismus der Gegenwart ebenso vorwegnimmt wie sie als Occupy-Aktivistin avant
la lettre munter in die Zukunft twittert.
Kate Evans: Rosa Aus
dem Englischen von Jan Ole Arps. Karl Dietz Verlag Berlin, 228 Seiten