Rezension Parable of the Sower


Zweifelhafte Zwiegespräche mit Gott

erschienen in: Wespennest. Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder No. 181


Science Fiction ist nicht eigentlich ein Zukunftsentwurf, sie erzählt, einer inversen Zeitleiste folgend, nicht selten von Ereignissen der jüngeren Vergangenheit. Selbst dann, wenn ihre Autor_innen phantastische Einblicke in mögliche Welten auf fernen Planeten geben, verändern sie damit zuerst die Sicht aus nächster Nähe. Mit ihrer aktuellen Adaption von Octavia Estelle Butlers Science-Fiction-Roman „Parable of the Sower“ (1993; dt. 1999 unter dem Titel „Die Parabel vom Sämann“ erschienen) nähern sich auch Damian Duffy und John Jennings dem allzu Bekannten aus leicht verschobener Perspektive. Ihre Graphic Novel spielt mitten in Amerika und führt den zeitlichen Index einer erweiterten Gegenwart mit sich. Was währenddessen im Outer Space, dem genretypisch präferierten Nicht-Ort der Science Fiction, passiert, ist dem eingespielten Text-Bild-Duo nur einen kurzen, intermedial abgefederten Schwank wert: Die staatlich organisierte Mars-Mission des Jahres 2024 erweist sich als nationales Fiasko im temporär angemieteten TV-Fenster mit sensorischer Zusatzfunktion und unbegrenztem Zoomumfang.

In „Parable of the Sower“ ist Fern-Sehen auch ein mnemotechnischer Übertragungsprozess im Bewusstsein der Erzählerin: Anlässlich eines Astronauten-Begräbnisses im Staatskanal denkt Lauren Oya Olamina, die fünfzehnjährige Protagonistin der Geschichte, zuallererst an die sich täglich mehrenden Toten aus den eigenen Reihen. Sie wird das mediale Ereignis mit den Worten „Somehow Mrs. Sim’s suicide and the dead astronaut’s expulsion from heaven are tangled in my mind“ (20) kommentieren. Zu diesem Zweck führt John Jennings auf Bildebene ein Gestaltungselement ein, das an ein liniertes Schulheft mit rotem Korrekturrand erinnert. Lauren Olamina legt darin Notizen ab, die in vielen Panels als Metakommentare zum Geschehen fungieren. Nebst poetischen Sentenzen und Ausführungen zum möglichen Verhältnis von Gott und Welt denotiert die Handschrift auf vergilbtem Papier vor allem Laurens Wahrnehmung ihrer Umgebung. Dabei handelt es sich um eine durch Klimakatastrophen, Klassenunterschiede und ethnische Segregation verwüstete Zone des Zusammenlebens, in der der Mensch dem Menschen längst zum Wolf geworden ist.

Geografisch lokalisieren lässt das dystopische Universum aus „Parable of the Sower“ sich am Rande von Los Angeles, es fängt unmittelbar vor der Haustür der Erzählerin an: Das Buch beginnt mit einer Fahrradfahrt durch die urbanen Slums der fiktiven südkalifornischen Stadt Robledo und Lauren zeichnet davon ihr eigenes Bild. Von Versehrten und Verstümmelten umgeben, die sich um Brotkrumen prügeln und an unbehandelten Krankheiten sterben, stößt die afroamerikanische Baptistenpriestertochter in Konfrontation mit dem Elend ihren Gott jedoch nicht einfach vom Sockel; von Leid, Tod und Schmerz umgeben, denkt die hyperempathische Protagonistin zuallererst an das „Buch Hiob“ und geht anschließend von einem polymorphen Gestaltwandel Gottes aus. Sie macht die Transsubstantiationshypothese zum Ausgangspunkt ihrer weiteren Überlegungen und folgt fortan der festen Prämisse „God is Change“.

Prozesse radikaler Aufklärung finden in „Parable of the Sower“ nicht statt – darauf verweist bereits der Titel von Octavia Butlers als erster Teil einer Trilogie geplanter Roman, der mit „Parable of the Talents“ auch in Graphic-Novel-Form fortgesetzt werden soll; dieser Umstand lässt sich nicht nur ideologisch, sondern auch dramaturgisch begründen: Am Schluss der nach einem Bibelgleichnis benannten Säämann-Parabel ist der paradiesische Endzustand bereits denkbar – ein Eindruck, der in der Graphic Novel auch Effekt einer farblich markierten Differenz ist: John Jennings Bilder sind streckenweise von Flammen umgeben, die kräftigen Rottöne infernalischer Feuer, die infolge von Trockenheit und Wassermangel nie ganz gelöscht werden können, gehen mit Beginn des Exodus der Erzählerin ins sanfte Ocker einer Wüstenlandschaft über. Nach dem Tod ihres Bruders, dessen Leichnam mit ausgebrannten Augen und abgezogener Haut zuhause ankommt, kommen neben Laurens Eltern auch alle ihre Geschwister ums Leben; anfangs noch auf der Suche nach Arbeit und unterwegs gen Norden, wird sie auf halbem Weg eine Religion namens „Earthseed“ gründen; ihre Mitglieder setzen auf frische Aussaat im territorialen Nirgendwo: Nach dem Begräbnis der Toten pflanzt Lauren an ihrer Grabesstätte eine Eiche und gibt diesem Ort den Namen „Acorn“.

Besonders das Frühwerk von Octavia Estelle Butler wird oft für ihre charakterstarken schwarzen Heldinnen gelobt und der Umstand, dass mit der Transliteration ins erzählende Text-Bild-Register eine solche nun auch im Comic auftritt, mag auf den ersten Blick bemerkenswert erscheinen; auch den Gender-Switch zur Mitte des Buches meistern Jennings und Duffy souverän: Lauren, die aus Selbstschutzgründen fortan als Mann agiert – „My name is androgynous“ (176) – wird dank Figurenzeichnung trotz Kurzhaarschnitt und Kapuzenpullover von den Leser_innen weiterhin als dieselbe Person erkannt. In der farblich opulent und visuell dicht gestalteten Graphic Novel wird das insbesondere im Science-Fiction-Genre gegebene Potenzial zur Überwindung religiöser Rudimente – auch, aber nicht nur durch technische Möglichkeiten – dennoch an keiner Stelle angedacht; der Messianismus bleibt über weite Strecken des Buches aufrecht – und er ist passagenweise mit dem missionarischen Eifer früher Crusader Comics der 1940er Jahre vergleichbar.

Das in „Parable of the Sower“ nebst religiösem Phantasma verhandelte biopolitische Regime eines sozialdarwinistisch ausgerichteten „Survival of the Fittest“ ähnelt schon jetzt dem Alltag in einigen Weltgegenden und es ist beeindruckend, dass die Held_innen der Erzählung mehr an die Tank Girls des New Wave erinnern denn an die Missionsmänner aus Bibelcomics. Im Zeitalter von (christlichem) Fundamentalismus und New-Age-Irrsinn tut dennoch die Überlegung Not, ob man weiterhin ein Korn unbedarft in die Erde stecken kann, das der einen oder anderen Bibelexegese zufolge schon zu seltsamen Schwindelblüten geführt hat. In „Parable of the Sower“ fällt ein möglicher Kommentar dazu äußerst bescheiden aus und findet am Ende kaum Gehör. Er stammt von zwei Schwestern auf der Flucht vor ihren gewalttätigen Familienoberhäuptern, die Lauren auf ihrer Marschroute nur ein kurzes Stück folgen: „I think religion is dog shit. It’s either phony or crazy” (201).

Damian Duffy und John Jennings: Parable of the Sower: A Graphic Novel Adaptation. New York: Abrams 2020.