Ein surrealer Copyshop

erschienen in: Wespennest. Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder No. 183


Als Heinrich Heine im Vormärz des Jahres 1844 an Deutschland dachte, war er um den Schlaf gebracht. Aus dem Alp, den nationalistisch aufgeladene Traumgebilde evozieren, ist der jugoslawische Comiczeichner Aleksandar Zograf nie erwacht. In seinem während des Balkan-Krieges entstandenen Comicalbum Regards from Serbia. A Cartoonist’s Diary of War in Serbia (2007) legte er in tagebuchartigen Skizzen Zeugnis ab vom alltäglichen Bombardement. Jugoslawien ist zerfallen, der zerstückelte Körper des zerstörten Staates kehrt über 288 Seiten hinweg phantomartig wieder. Für Zograf, der sein Comic-Alter-Ego konsequent zwischen den Fronten positioniert, gibt es nichts Sinnloseres als eine Uniform und nichts Dümmeres als Miloševic’ völkische Mobilisierungsversuche. 1963 im serbischen Teil der Vojvodina als Saša Rakezic geboren, machte er sein Journalisten-Pseudonym zum Künstlernamen; sein Tagebuch ist von hypnagogen Bildwelten durchzogen, die das Bewusstsein an der Schwelle zum Schlaf mit multisensorischen Eindrücken fluten.

Zografs Imaginationen entstehen in Zwischenwelten, ihr Nachleben bannt der Autor gekonnt auf Papier. Er mischt Tagesrest mit Traumsequenz, flicht in seine surrealen Bilderreihen immer wieder Fotografien ein, die ihm bei seinen Recherchen unterkommen. Im Copyshop des Comickünstlers ist für die experimentellen Sprachen der jugoslawischen DIY-Kultur ebenso viel Platz wie für die des Novi Primitivizam; beide Bildtraditionen kommen nicht von ungefähr: In den 1930er Jahren war Veljko Kockars „Kaktus Bata“ („Kaktus-Kind“) ebenso Teil einer stilistisch vielfältigen Avantgarde wie Marko Ristic’ poetische Collagen à la John Heartfield; trotz regem Austausch mit André Breton und Louis Aragon ist der Kreis der Belgrader Surrealist:innen kaum mehr bekannt, dem auch der spätere Partisan Ristic angehörte; Veljko Kockar wurde aufgrund vermeintlicher Kollaboration mit dem NS-Regime 1944 hingerichtet, seine für die jugoslawische Variante von Walt Disneys’ Lustiges Taschenbuch gezeichneten Funnies sind bis heute populär.

Jene historische Zeitspanne, in der Kockar wirkte, ist es, die in Aleksandar Zografs jüngster Graphic Novel interessiert. „Partisanenpost“ wurde von Ivan Petrovic aus dem Serbischen ins Deutsche übersetzt und ist vor zwei Jahren im Wiener Independent-Verlag bahoe books erschienen. In ihr ist das Königreich Jugoslawien von deutschen und italienischen Faschist:innen besetzt, unter den von 1941 bis 1944 anhaltenden Repressionen hatten neben Jüd:innen und Kommunist:innen Menschen mit Behinderung und solche ohne Arbeit besonders zu leiden. Zograf flickt ihre Lebensläufe nachträglich neu zusammen und hebt dabei Momente des Aufbegehrens hervor. Einzelne Elemente aus dem Erzählfluss verdichten sich so zu einer Ästhetik des Widerstands, als diskontinuierliche Ansammlung eingefrorener Augenblicke wirken sie im Kopf der Leser:innen fort.

Eine der achtundzwanzig Episoden handelt von Hilda Dajc, die sich, knapp neunzehnjährig, für den Dienst auf der Krankenstation im Konzentrationslager Sajmište meldet und allabendlich Trost spendet, indem sie den dort Internierten vorliest. Dajc’ Briefe haben die vor Ort eingesetzten, mobilen Gaskammern der Nationalsozialist:innen überlebt, die im Serbischen auch als „Seelenvernichter“ („Dušegupka“) bezeichnet wurden. Ein anderes Kapitel beruht auf Aufzeichnungen, die ein jugoslawischer Bartleby in seinem Notizbuch hinterlassen hat. Der junge Drucker, der aus Geldmangel in Hauseingängen schläft und anschließend in den Krieg ziehen muss, schildert darin seine Erfahrungen auf der Flucht. Neben Tagebüchern und Briefen speisen Zografs Bilderzählungen sich aus Zeitungsartikeln und Presseberichten. Ein Faksimile des Spiegel-Covers vom 10.3.1997 fungiert im Comic als Evidenzbeweis für das am 22.4.1941 von Wehrmachtssoldaten verübte Massaker im serbischen Pancevo, Zograf findet Fotos davon auf einer „kosmischen Deponie“ (43) namens Flohmarkt – ein inoffizielles Archiv des antifaschistischen Widerstands, in dem es viel zu entdecken gibt. Des Autors Blick darauf kommt nicht immer ohne Überzeichnungen aus: In einer Ausgabe der oppositionellen Zeitschrift „Put Slobode“ („Der Weg der Freiheit“) küssen Zograf zufolge die im Wald versteckten Partisan:innen die vom Feind entwendeten Kanonen und umarmen sie wie ihre eigenen Kinder.

Zeichnen im KZ ist ein Verlachen unter Todesdrohung, in den Kupferminen von Bor nahmen die Nazis dem ungarischen Karikaturisten Albert Csillag dafür das Leben. In „Partisanenpost“ entreißt Zograf auch seine Comics dem Vergessen, das antifaschistische Kassiber zeigt sie vielen zum ersten Mal. Spuren der nationalsozialistischen Ikonografie entdeckt der Autor indes auf Kaffeetassen, in Schulheften, Erziehungsratgebern, Panzerfahreranleitungen und der serbischen Ausgabe von Helga Knöpke-Joests NS-Propagandatext „Ulla, ein Hitlermädel“. Zografs comicartiges Rearrangement des Vorgefundenen unterwandert die nationalsozialistische Herrschaft in Jugoslawien immer wieder mit satirischen Mitteln und zeigt sie zugleich als hypnagoge Alptraumcollage kurz vor dem Einschlafen – mitsamt den wiederkehrenden Bildern des Widerstands dagegen.

Aleksandar Zograf: Partisanenpost Aus dem Serbischen von von Ivan Petrovic. Wien: bahoe books 2020 [vergriffen]